Stuttgarter Zeitung – Fellbach & Rems-Murr-Kreis – vom 08.05.2021 - Seite II
Gedenken an Sophie Scholl
Gerne hätte der Förderverein Besinnungsweg in diesem Jahr mit einer kleinen Veranstaltung an Sophie Scholl erinnert, die diesen Sonntag 100 Jahre alt geworden wäre. Die Pandemie lässt das nicht zu. So hat der für die katholische Kirchengemeinde tätige Pastoralreferent Martin Wunram zusammen mit dem evangelischen Pfarrer Markus Eckert überlegt, wie ihr Lebensmut auch nach Fellbach strahlt.
Die Geschwister-Scholl-Straße in Oeffingen ist Schulweg für viele Kinder, die zur Schillerschule gehen. Gegenüber der Turnhalle kreuzt der Albert-Eise-Weg – zwei Menschen, die sich der Unmenschlichkeit des Naziregimes entgegengestellt haben. In den meisten Fällen werden die Kinder das gar nicht merken, aber Straßennamen sind ja nicht nur Wegweiser, sondern geben auch Werte weiter. Deshalb wird immer wieder um Straßennamen gestritten. Als im Jahr 1974 die Geschwister-Scholl-Straße so benannt wurde, war noch nicht überall klar, dass die „Weiße Rose“ so positiv gesehen wird.
So gesehen haben die Stadtmütter und -väter einen Hinweis gegeben, wie wichtig es ist, Kindern gute Werte und ein gutes Fundament mitzugeben. Dabei war der Weg von Sophie Scholl kein geradliniger Weg: Am 9. Mai 1921 wird Sophie Magdalena Scholl in Forchtenberg geboren. Sie ist das vierte von fünf Kindern im protestantisch geprägten Elternhaus. Der Vater ist Bürgermeister. Die Mutter war früher Diakonisse. Die Familie zieht nach der Abwahl des Vaters als Bürgermeister nach Ludwigsburg und schließlich 1932 nach Ulm. Sophie erlebt ein offenes Haus. Gesellschaft, Politik und Religion sind Themen am Tisch.
Als die Hitlerjugend an Zulauf gewinnt, sind auch Hans und Sophie begeistert mit dabei. Ihre Eltern lassen ihr und Hans die Freiheit, sich als Jugendliche zu engagieren. Sie begleiten den Weg kritisch und halten an ihren Kindern fest. Sophie wird Scharführerin. Sie liebt Mutproben, Zeltlager und Ausflüge. Ganze sieben Jahre macht sie mit. Dann wird ihr klar: die Hitlerjugend schließt aus. Nach Konflikten tritt sie Ende der 1930er Jahre aus.
Sophie Scholl macht 1940 ihr Abitur und beginnt eine Ausbildung zur Kindergärtnerin. Immer mehr nimmt sie wahr, wie die NS-Ideologie die Menschen und das Land verbiegt. Sie findet Kraft zu innerem Widerstand im Glauben.
Eine Station am Geschwister-Scholl-Weg ist die Kreuzkapelle. Jesus wurde gekreuzigt. Ein Leben, das sich wagt, hat einen hohen Einsatz. Für Christen steht Jesus als Vorbild auf dem Lebensweg. Er hat Liebe im Vertrauen auf Gott gewagt. Sophie beeindruckt dieser Jesus.
Sophie schreibt in vielen Briefen darüber – auch über ihr Gebet zu Gott, dem sie ihr Leben anvertraut und der für sie Gegenüber und Begleiter ist. Auch durch manche Glaubenszweifel hindurch. Eine Lebens- und Glaubensüberzeugung, die so stark ist, dass das Ideal der Freiheit und des Wohls aller mehr zählt als der Schutz des eigenen Lebens.
Weiter unten an der Geschwister-Scholl-Straße ist die Freiwillige Feuerwehr: Männer und Frauen unserer Stadt engagieren sich freiwillig für andere. Sie retten, bergen, schützen. Sie bringen sich ein für die Gemeinschaft. Heute ist die Möglichkeit, sich auch politisch einzubringen anders. Manchmal schon so normal geworden, dass man vergisst, dass es diese Möglichkeit gibt. Die Geschwister-Scholl-Straße erinnert daran, dass Engagement gewünscht und nötig ist.
1942 zieht Sophie zum Studium nach München. Über ihren Bruder Hans lernt sie den Widerstandskreis „Die Weiße Rose“ kennen. Im Januar 1943, Sophie ist 22 Jahre alt, beteiligt sie sich das erste Mal an einer Flugblattaktion der „Weißen Rose“. Unter Lebensgefahr werden Flugblätter mit der Post verschickt, an öffentlichen Orten deponiert und in Briefkästen verteilt.
Am 18. Februar 1943 werden Hans und Sophie im Lichthof der Universität München erwischt. Bereits drei Tage später, am 22. Februar 1943, wird das Todesurteil durch Enthauptung vollstreckt.
Viele, die die Geschwister-Scholl-Straße entlang gehen, gehen zum Friedhof. Auf dem Friedhof liegen auch die Toten der Weltkriege. Dagegen hat Sophie protestiert: Gegen das große Sterben. Wer auf den Friedhof geht, denkt an die Verstorbenen, und die Fragen werden groß: Was ist der Sinn, was ist das Ziel meines Lebens? Wie muss ich leben, damit sich mein Leben lohnt?
Der Besinnungsweg liegt am Geschwister-Scholl-Weg. Die Besinnung kann schon mit diesem Namen beginnen. Wer weiß, wo er im Leben steht, kann sein Leben mutig leben.
Marin Wunram, Patoralreferent der katholischen Kirche Fellbach