Stuttgarter Zeitung vom 03.07.2022 Fellbach & Rems-Murr-Kreis Seite 2
Ankommen in der Außenstation
Ingrid Sachsenmaier
Im Oeffinger Hartwald ist der „Sculpture Forest Sanctuary“ in Verbindung mit der Triennale entstanden – für das Projekt sind von einer Künstlergruppe Figuren aus Holz dauerhaft im Wald installiert worden.
Paulina Kondraskov freut sich: „Jetzt vibriert der Wald.“ Die in Stuttgart lebende Künstlerin liegt bäuchlings auf dem Dach der Holzkonstruktion, die Anfang dieser Woche am Rand des Hartwaldes in Oeffingen als Außenstation der 15. Triennale aufgestellt und mit vier Füßen fest in der Erde verankert wurde. Die Konstruktion dafür ist rund drei Meter hoch und Podium für die Figuren des „Sculpture Forest Sanctuary“, ein kollaboratives Projekt von Künstlern aus verschiedenen Ländern – von Deutschland bis nach Kamerun. Initiiert und federführend organisiert wurde es von der in Berlin lebenden Künstlerin Antje Majewski, die seit über 20 Jahren mit der diesjährigen Triennale-Kuratorin Elke aus dem Moore in künstlerischem Kontakt steht.
Zur Künstlergruppe des „Waldprojekts“ gehört auch Paulina Kondraskov. Sie hat als ausgebildete Botanikerin und leidenschaftliche Holzkünstlerin Blätter aus Holz geformt und damit Zweige eines Baumes, der an das Podest heranreicht, behängt. Paulina Kondraskov nennt ihr Werk den „Löffelbaum der Vielfalt“. Obwohl die „Blätter“ aus Eichen-, Ahorn-, Eschen- oder Buchenholz sind, sind sie so leicht, dass sie sich an diesem Frühsommertag im sanften Wind wiegen. Das passt zum Titel „Vibration der Dinge“ der diesjährigen Triennale Kleinplastik.
„Das ist genau so, wie ich mir das vorgestellt habe.“ Antje Majewskis spontanes Lob gilt Paul Rothwein, dem Vorsitzenden des Fördervereins Besinnungsweg. Er hat das Podest aus Pfosten, Querlatten und Brettern, zum Teil noch mit ihrer Rinde, gezimmert. Das Projekt „Sculpture Forest Sanctuary“ und der Besinnungsort „Schöpfung“ von Micha Ullman sind Nachbarn, und Rothwein hat bei der Außenstation – es ist das erste Mal, dass die Triennale eine solche einrichtet – handwerkliche Nachbarschaftshilfe geleistet. Mit dem Lastwagenkran aus der Baufirma seines Sohnes Martin wurde das Podest in den Wald gehievt.
Antje Majewski hat schon vor Monaten zur Bedingung gemacht, dass das städtische Waldstück in den nächsten 100 Jahren aus der Bewirtschaftung genommen und sich selbst überlassen wird. Sie möchte, dass dies vertraglich festgehalten ist. Noch liege das Schriftstück allerdings nicht vor, sagt sie, während sie die bis zu 30 Zentimeter großen Holzfiguren, auch eine Maske und ein Stab gehören dazu, in ihrer neuen „Behausung“ arrangiert. Im besten Fall sollen die „tragende Mutter“ von Alioune Diouf, die einer Schachfigur ähnelnde Frau mit dem filigran geschnitzten Gesicht, von ihr selbst gefertigt, oder der mithilfe eines 3-D-Druckers entstandene menschliche Arm von Paweł Althamer für mindestens 100 Jahre in dem Waldstück bleiben. „Wahrscheinlich werden sie früher zerfallen“, mutmaßt Antje Majewski und berichtet, dass die jetzt im Hartwald stehenden Figuren bis vor kurzem in St. Ulrich in Südtirol auf ihren Transfer nach Oeffingen gewartet haben. Dort hat letztes Jahr das Projekt begonnen.
Der „Sculpture Forest Sanctuary“ ist so angelegt, dass sich am jeweiligen Ausstellungsort immer zwei Exemplare eines Objekts befinden – eines gehört zur Ausstellung und soll dort verbleiben und in der Natur zerfallen. Die weiteren Kopien, in Fellbach werden sie in der Alten Kelter gezeigt, sind sozusagen die Vorboten für die nächste Installation. Um sie ist in der Alten Kelter ein Zaun gebaut, sie stehen auf Rindenmulch und warten auf den nächsten Wald, in dem sie aufgebaut werden. „Vielleicht noch dieses Jahr“, hofft Malewski. „Die Idee soll weiterleben“ – und mit ihr die Intention, die Antje Malewski und ihre Künstlerkollegen, Gleichgesinnten und Weggefährten damit verbinden.
„Die Schutzgeister“, so nennt sie die Figuren, sollen darüber wachen, dass niemand den Wald betritt oder ihn zerstört. „Ohne Wald können wir nicht leben“, mahnt sie. „Wir wollen, dass Menschen, die hier an dem Waldstück in Oeffingen vorbeikommen, sich damit identifizieren.“ Das Ökosystem und die dort anzutreffenden Lebewesen sollen erhalten werden. Bei der Biennale Gherdëina 2021 in Südtirol ist das offenbar gelungen. Jetzt ist Fellbach dran.
Am Samstag – um 16 Uhr fährt ein Shuttlebus von der Alten Kelter an den Waldrand in Oeffingen – gibt es nachmittags weitere Erläuterungen vor Ort im Hartwald, und am 16. Juli kann man mit Paulina Kondraskov einen botanischen Spaziergang über den Besinnungsweg machen und sich dabei gedanklich austauschen. Die Zeit und die Menschen werden entscheiden, was auf den Platz in Oeffingen zutrifft und welche Vibrationen er auslöst.
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Stuttgarter Zeitung vom 09.05.22 Fellbach & Rems-Murr-Kreis Seite I
Schutzgeister wachen im heiligen Hain
Andreas Hacker
In Verbindung mit der Triennale Kleinplastik entsteht in Oeffingen eine ungewöhnliche Kunstinstallation: Das städtische Grundstück am Rand des Hartwalds soll sich selbst überlassen werden. Das Vorbild dafür ist in den Dolomiten zu finden.
Wenn am 4. Juni in Fellbach die 15. Triennale Kleinplastik beginnt, wird es in Verbindung damit am Rand des Hartwalds bei Oeffingen eine Kunstinstallation geben: „Eine Art klassischer heiliger Hain“, hat Heribert Sautter vom Kulturamt Fellbach bei der Mitgliederversammlung des Fördervereins für den Besinnungsweg dazu erklärt: Ein Waldstück in Nachbarschaft zum Besinnungsort „Schöpfung“, das der Stadt gehört, soll der forstlichen Nutzung entzogen und sich selbst überlassen werden. Paul Rothwein, der Vorsitzende des Fördervereins, baut mit jungen Buchen, die aus diesem Wald stammen, eine kleine Plattform, auf der Künstlerinnen und Künstler um die Triennale-Ko-Kuratorin Antje Majewski Skulpturen installieren.
Fellbach ist die zweite Station des Projekts mit dem Titel „Sculpture Forest Sanctuary”, das Antje Majewski in einer Gruppe mit Paweł Althamer, Agnieszka Brzeżańska, Alioune Diouf, Cecilia Edefalk, Paweł Freisler und Gregor Prugger zum ersten Mal 2020 bei der Biennale Gherdëina 7 in Italien initiiert und umgesetzt hat. Bei St. Ulrich im Val Gardena sind am Pilat, mitten in den Dolomiten, Skulpturen aufgestellt worden mit dem Ziel, dass dieses Waldstück nach dem Vorbild der heiligen Wälder Westafrikas und Südchinas zu einer geistigen Stätte werden soll. Diese Wälder liegen traditionell nah am Dorf. Hier wachsen Heilkräuter und liegen besondere Grabstätten.
Für die italienische Biennale Gherdëina 7 sind im Jah 2020 Skulpturen in den Dolomiten aufgestelllt worden. Die Trienale setzt dieses Projekt in Oeffingen fort. Foto: Bureau Müller/Tiberio Sorvillo
Sie haben eine wichtige spirituelle Funktion für das Dorf und können nur von bestimmten Personen betreten werden. Sie dürfen nicht genutzt oder abgeholzt werden. Die „heiligen Wälder“ sind ein Ort, an dem Vögel nisten und Biodiversität überlebt.
Alle Skulpturen im Wald in den Dolomiten sind aus Materialien gefertigt, die im Wald selbst gefunden wurden. Dahinter steht die Idee, dass sie im Laufe der Zeit zerfallen und wieder Teil der Umwelt werden. Das gilt so auch für die Fortsetzung jetzt in Fellbach. „Wir alle schenken dem Wald eine Holzskulptur, die in einer Gruppe zusammen auf einer Plattform installiert werden“, beschreibt Antje Majewski ihre Pläne. Die Skulpturen sollen als „Schutzgeister“ darüber wachen, dass im umliegenden Wald wenigstens 100 Jahre lang keine menschlichen Aktivitäten stattfinden. So entstehe ein kleiner geschützter Wald. Die Skulpturen werden zum Teil identisch sein, sagt die Künstlerin, da sie nach 3D-Scans von einer Holzfräse gefertigt werden. Ein anderer Teil wird nach ihren Angaben per Hand neu geformt und damit sehr ähnlich, aber nicht ganz identisch werden. „Die Installation wird ähnlich aussehen, aber es kommt in der Ausstellung ein Zaun von Pawel Freisler hinzu. Auch die Arbeiten von Paulina Kondrakov und Hervé Yamguen erweitern das Projekt.“ Wie bei der Biennale in den Dolomiten, wo mit einer gesonderten Installation in einer Ausstellung in einem Hotel in St. Ulrich auf das Projekt im Wald oben am Berg aufmerksam gemacht wurde, wird es auch bei der Triennale am zentralen Ausstellungsort, der Alten Kelter in Fellbach, einen Hinweis auf das Projekt in Oeffingen geben. Am Eröffnungstag selbst, dem 4. Juni, bietet das Kulturamt einen Busverkehr zwischen den beiden Veranstaltungsorten an.
Für Heribert Sautter vom Kulturamt eignet sich das etwa 40 auf 100 Meter große Waldstück gut für das Projekt, auch wenn die Stadt die Verkehrssicherungspflicht für die umgebenden Wege habe und deshalb erforderlichenfalls auch mal den einen oder anderen Baum herausnehmen müsse. Die Nähe zum Besinnungsweg sei ein weiterer Vorteil, auch wenn dieser Schutzwald bewusst nicht Teil des Skulpturenpfads sein soll. Aber als sogenannter Wegbegleiter, von denen es mit Kapelle, Feldkreuz, Void, der Stelen-Reihe, den Steinarbeiten von Anatol Herzfeld und dem Schatten im Friedhof in Oeffingen schon einige gibt, ergänze und verstärke dies die Kunst im öffentlichen Raum.
Antje Majewski lebt und arbeitet in Berlin und ist Professorin für Malerei an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel. Mit dem Projekt „Sculpture Forest Sanctuary“ stellt sie die zentrale Frage nach der Rechtmäßigkeit von Eigentum an Leben und ob es möglich ist, eine so multidimensionale, facettenreiche Vielheit wie einen Wald besitzen zu können. Sie versucht, eine tiefere Verbindung zwischen dem Wald mit all seinen Lebewesen und den Menschen, die den Wald besuchen, herzustellen.
„Das Skulpturenwald-Schutzgebiet wird so zu einer kleinen experimentellen Werkstatt, wo auch die Anpassung von Pflanzen, Insekten, Pilzen, Tieren und Mikroben an den Klimawandel untersucht werden kann“, heißt es in der Projektbeschreibung der Biennale in den Dolomiten. „Die Skulpturen sind Objekte mit Handlungsmacht“, erklärt Antje Majewski. „Durch ihre Anwesenheit verändern sie den Umgang mit dem Wald. Sie gehören nicht in ein Museum und können nicht verkauft werden. Sie sind Skulpturen, aber sie sind auch etwas anderes“, sagt sie. „Wir hoffen, dass sich durch die Skulpturen unsere guten Wünsche für den Wald, aber auch für die Menschen, die sich freiwillig von ihm fernhalten, manifestieren können.“
Installationsansicht Sculpture Fores Sanctuary, Bienale di Gherdëina. Foto: Bureau Müller/Tiberio Sorvillo